Wann soll ich Aktien verkaufen?

Als Langfristinvestor sind wir stets auf der Käuferseite. Aber es kann Situationen geben, wenn wir uns von unseren Aktien trennen müssen.

Ich sage es immer wieder: Kaufen ist einfach. Verkaufen dagegen verdammt schwer. Die wenigen Male, die ich bestimmte Aktien veräußert habe, waren fast immer mit einem nachträglichen Bedauern begleitet.

Kaufe etwas, wenn es billig ist, wenn es wenig Abwärtspotential gibt oder ein Unternehmen komplett vom Markt ignoriert bzw mißverstanden wird. Kaufe zusammen mit Insidern oder weil du ein Vorkaufsrecht hast. Oder kaufe nur aus dem Grund, weil sonst keine andere Person kauft und du trotzdem überzeugt bist.

Auf der Verkäuferseite sieht es anders aus. Eine goldene Regel für den Verkauf gibt es nicht. Ich halte auch die Börsenweisheit „An Gewinnmitnahmen ist noch niemand gestorben“ für falsch. Aber aus Erfahrung her gibt es einige Hinweise, die wir uns vielleicht merken sollten:

Erstens: Die (wirtschaftlichen) Umstände haben sich geändert

Selbst wenn wir bei unserer Kaufanalyse alles richtig gemacht haben, das Unternehmen damals blendend dastand und im Laufe der Jahre weiter wuchs, so kann es eventuell dazu kommen, daß sich die Überlebenswahrscheinlichkeit der Geschäftstätigkeit eingetrübt hat oder es aussichtslos erscheint, daß sich das Umfeld nachhaltig verbessert. Beispielsweise kann ein verlorener Patentstreit dazu führen, daß das einzige Produkt nicht mehr vertrieben werden darf. Oder es ist ein gigantischer Umweltskandal aufgedeckt worden. Oder die Finanzzahlen sind über Jahr hinweg gefälscht worden und haben nur dadurch die Kurse getrieben. Das alles kann plötzlich ans Tageslicht kommen und uns an unserer Beteiligung zweifeln lassen. In vielen Fällen ist es so, daß es im Zeitablauf eher noch schlimmer wird als erdacht.

What you find is there’s never just one cockroach in the kitchen when you start looking around.

Warren Buffett, August 2017

Zweitens: Das Unternehmen wird verkauft

In den vergangenen Jahren sind viele Übernahmen (Mergers & Acquisitions) international vollzogen worden. Dabei sind Unternehmen von der Börse verschwunden (delisting), bei denen die Altaktionäre abgefunden werden mussten. In diesen Fällen wird der Käufer meist einen Betrag X pro Aktienanteil anbieten und ggf noch eine Prämie an die Altaktionäre anbieten, um diese zum Verkauf zu motivieren und somit die Mehrheit der Stimmrechte zu erwerben. Von der ersten Meldung zur Absichtserklärung bis zur tatsächlichen Übernahme können 12 bis 18 Monate vergehen. Wir haben in diesem Zeitraum zwei Möglichkeiten:

1. Wir nehmen das Angebot an und werden an einem vereinbarten Tag monetär entschädigt aufgrund des Eigentumübertrags. Wir müssen also nichts weiter tun und warten.

2. Wir verkaufen direkt unsere Anteile im Markt zu einem etwas geringeren Preis als das Kaufangebot bietet, erwirtschaften daher etwas weniger Gewinn.

Ich tendiere zu letzterem Schritt, denn innerhalb der kommenden Monate kann viel passieren. Der Käufer zieht sein Angebot zurück, die konjunkturelle Lage verschlechtert sich, die Aufsichtsbehörden untersagen den Kauf oder Kläger streben einen länger andauernden Rechtsstreit an (von dem meist nur sie selbst profitieren). Das alles sind Monate der Ungewissheit. Em Ende stehen wir vielleicht schlechter da als vor der ersten Pressemitteilung. Habe ich allerdings frühzeitig verkauft, kann ich mich nach guten Alternativen umschauen oder das freigewordene Kapital parken. Die nächste Chance kommt ganz bestimmt.

Drittens: Die Bewertung geht durch die Decke

Je nach Marktlage und Unternehmen können sich Bewertungen ergeben, die überhaupt keinen Sinn mehr ergeben, weil zu viel Fantasie im Kurs enthalten ist. Wir haben es in der Vergangenheit immer wieder gesehen: Dot.com, Cannabis, 3D Druck und jetzt vielleicht Wasserstoff. Zu jeder Zeit gibt es Trendthemen, bei denen die Masse dabei sein muß, um sich am Ende daran die Finger zu verbrennen. Es sind meistens spannende Themen mit enormen Wachstumsaussichten, aber die Preise entsprechen nicht mehr der Realität. Langfristig werden es einige Unternehmen im Markt schaffen und sich etablieren, Gewinne erwirtschaften und die Eigentümer wohlhabend machen. Davor steht aber meist eine scharfe Korrektur. Daher stellt sich die Frage, ob wir nicht vorher aussteigen, sobald wir merken, daß die Bewertungen einfach nicht mehr gerechtfertigt sind. Ich denke die Wahrscheinlichkeit, daß wir die nächste Amazon oder Google entdecken ist gering. Bleiben wir ehrlich.

Zusammengefasst: Es gibt viele Gründe einem Unternehmen treu zu bleiben; als Miteigentümer, Visionär und vielleicht sogar als Exot – in guten wie in schlechten Zeiten. Dennoch kann sich die Situation ändern, so daß wir uns von unseren Aktien trennen müssen. Es gilt Emotionen stets unter Kontrolle zu halten, denn sie verleiten uns dazu schlechte Entscheidungen zu treffen. Und ein ewiges Hin und Her ist Gift für jedes langfristig aufgestelltes Depot. Aber sollten wir tatsächlich an einen Verkauf denken, können wir uns vielleicht Folgendes merken: „Verkaufe die Schlechten, kaufe die Guten“. – Qualität zählt! In jeder Marktphase.

Florian

Das könnte dich auch interessieren …